Drachenvisionen

Christopher Paolini über den Weg, Schriftsteller zu werden

Roter Drache

Ich sehe Echsen vor mir. Nicht irgendwelche winzigen Eidechsen, auch keine groß wie Alligatoren – nein, ich habe gigantische, majestätische Flugdrachen vor Augen. Ständig sehe ich sie vor mir: unter der Dusche, wenn ich mich auf dem Couch räkle oder im Auto sitze. Das Problem mit den Drachenvisionen ist, dass diese Kreaturen anfangen, deine Sinne zu vernebeln. Und wenn es einmal soweit ist, kannst du ganz leicht deinen Verstand einbüßen. Wahrscheinlich bin ich deshalb Schriftsteller geworden.

Mein Roman Eragon ist eine Fantasy-Erzählung, der erste Teil einer Trilogie. Es ist die Geschichte eines Jungen, der die Bekanntschaft des leuchtend blauen Drachen-Mädchens Saphira macht und der – zunächst ohne es zu wissen – den Mantel der legendären Drachenreiter besitzt. Die sorgten einst für Frieden im Land. Der tyrannische König Galbatorix sieht seine Macht durch den Erben der Drachenreiter bedroht. Seine düsteren Spießgesellen ermorden Eragons Familie. Seiner Heimat beraubt, sinnen Eragon und Saphira auf Rache, was sie bald in eine üble Schlacht um Gut und Böse verwickelt.

Für den ersten Entwurf brauchte ich ungefähr ein Jahr, dann ein weiteres, um ihn anständig zu überarbeiten, denn anfangs hatte ich keinen blassen Schimmer von dem, was ich da tat. Und schließlich brauchte ich ein drittes Jahr, um das Buch zu lektorieren und für den Druck vorzubereiten. Neben der Arbeit am Text fertigte ich die Illustration für den Umschlag und zeichnete die Karten für den Innenteil. Das war nur deshalb möglich, weil ich das Buch ursprünglich im Eigenverlag und als Print-on-demand herausbrachte. Diese Art der Erstveröffentlichung gibt dem Autor natürlich größere kreative Gestaltungsfreiheiten für die Umverpackung als das üblicherweise der Fall wäre. – Wie ich das alles hinkriegte? Dazu kann ich eine kleine Geschichte erzählen:

Ich hasse Lesen!, schrie der kleine Junge trotzig. Ich verstehe nicht, wozu ich es lernen soll. Ich werde es sowieso nie brauchen. Das sagte ich vor ziemlich genau fünfzehn Jahren zu meiner Mutter, als sie mir das Lesen beibrachte. Damals war das nicht meine Welt und ich war mir sicher: Es ist die reinste Zeitverschwendung. Meine Mutter war geduldig und ließ nicht nach, bis ich einfache Wörter entziffern konnte. Dann nahm sie mich mit in die Bücherei.

Grüner Drache

Das ist jetzt leicht hingeschrieben, aber es ist nur schwer zu vermitteln, wie das damals mein Leben veränderte. In der Bibliothek gab es – versteckt in der Kinderecke – kurze Fantasy-Geschichten. Ein bestimmter Umschlag sprach mich besonders an. Ich nahm das Buch mit nach Hause und las es begierig. Ich entdeckte eine neue Welt, bevölkert mit interessanten Figuren, die aufregende Situationen zu meistern hatten. Ja, ich erinnere mich noch genau, wovon das Buch handelte: Unter anderem ging es um Ketchup, das versehentlich für Blut gehalten wurde. Seit damals bin ich verliebt in das geschriebene Wort. Statt Spielzeug häufte ich Bücher an. Sie türmten sich unter meinem Bett, auf dem Fußboden, neben dem Kopfkissen und überall im ganzen Haus. Wenn wir in die Stadt fuhren, wollte ich nur in die Bibliotheken und Buchläden und ab und zu ins Museum.

Aber dabei ist es nicht geblieben. Ich mochte Geschichten so sehr, dass ich einen weiteren Schritt ging und meine eigenen schrieb. Ich las alles, was mir an einschlägigen Lehrbüchern unterkam und mich weiterbringen konnte. All das trug schließlich dazu bei, dass ich mich vor vier Jahren hinhockte und meinen eigenen Plot entwickelte. Wochenlang rackerte ich mich damit ab und malte mir jedes Detail aus. Als ich alles auf der Reihe hatte, fing ich an zu schreiben.

Es ist merkwürdig: Obwohl ich mich sehr für Bücher interessierte, wäre mir nie in den Sinn gekommen, eines Tages selbst Autor zu werden. Eigentlich wollte ich nur die Geschichten, die mir im Kopf herumspukten, mit anderen teilen. Das Handwerk des Schreibens musste ich also nur deshalb erlernen.

Gelber Drache

Als der erste Entwurf von Eragon fertig war, musste ich richtiges Schreiben lernen. Das mag etwas absurd klingen, ist es aber nicht. Der erste Schritt beim Schreiben war ein rein kreativer Akt. Aber dann kam die Schufterei, das Manuskript in lesbaren Stoff zu verwandeln. Erst da lernte ich, gefällig und grammatikalisch korrekt zur formulieren. Übung macht bekanntlich den Meister, aber es kann schon hilfreich sein, zuvor einige der grundlegenden Regeln zu kennen. Ich wünschte, ich hätte vor dem Schreiben von Eragon mehr Grammatik gelernt, denn es hätte mit später enorm viel Zeit erspart, die ich für das Korrigieren vermeidbarer Fehler aufbringen musste.

Als ich mit fünfzehn die High School beendete, hatte ich vor, zum College zu gehen. Für August 2001 hatte ich mich sogar schon fürs Reed College beworben und war auch angenommen worden. Aber wenn ich hingegangen wäre, hätte ich mich nicht weiter um Eragon kümmern können. Jetzt aber habe ich die Möglichkeit, mein Buch mit der ganzen übrigen Welt zu teilen, und ich hoffe, dass es allen gefällt.

Momentan bin ich komplett ausgelastet mit öffentlichen Auftritten und Signierstunden für Eragon. Es ist eine aufregende neue Erfahrung, total anders als alles, was ich bisher gemacht habe. Parallel dazu schreibe ich an der Fernsehverfilmung von Eragon und ich habe mit dem zweiten Band der Trilogie, Eldest, angefangen, der noch besser zu werden verspricht als der erste.

Wenn alles gut läuft, werde ich es noch etliche Jahre lang mit Drachen zu tun haben.